Bürgermeister Tholen: „Was man verlangt, muss man vorleben“

03.01.2017, 16:43 Uhr | AN vom 03.01.2017

Die Vorsätze von Bernhard Tholen für das Jahr 2017? Endlich wieder joggen! Wegen Problemen mit der Achillessehne musste der Gangelter Bürgermeister, der sonst fast täglich die Laufstrecken seines Heimatortes unter die Sohlen nahm, eine mehrmonatige Trainingspause einlegen.
 

Im Interview mit unserem Redakteur Thorsten Pracht spricht der dienstälteste Verwaltungschef des Kreises Heinsberg über die Entwicklung der Gemeinde.
 
Im September sind Sie 20 Jahre Bürgermeister von Gangelt. Kommt der Landrat dann vorbei und übergibt Ihnen einen Präsentkorb und eine Ehrennadel?
 
Tholen: Das glaube ich nicht. Ich freue mich, dass ich die Gemeinde fast 20 Jahre entwickeln durfte. Ich frage mich selbst, wo die Zeit geblieben ist. Ich bin in Gangelt alt geworden, habe mit 39 Jahren hier angefangen und gehe jetzt auf die 60 zu. Ich gehe mal davon aus, dass hier meine letzte berufliche Station ist.
 
Die nächste Wahl ist 2020. Vom Alter her könnten Sie doch noch einmal antreten.
 
Tholen: Wie es dann weiter geht, dazu werde ich mich Anfang 2019 endgültig positionieren. Mir macht die Arbeit Spaß. Aber 2020 wäre ich 43 Jahre im öffentlichen Dienst und 23 Jahre Bürgermeister. Da muss man darüber reden, wie es weiter geht. Ich habe bis jetzt noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht.
 
Trügt der Eindruck oder war 2016 ein recht ruhiges Jahr in Gangelt?
 
Tholen: Ich denke, 2016 war ein gutes Jahr, alles ist positiv abgelaufen. Es gab keine großen Überraschungen, erst recht nicht wie die auf der großen Weltbühne. Ich denke nur an den Brexit oder die Wahl von Donald Trump. In Gangelt haben wir das, was wir uns vorgenommen haben, im Großen und Ganzen erledigt.
 
Der Haushalt ist wieder ausgeglichen, obwohl wir mit einem prognostizierten Minus von über zwei Millionen Euro gestartet sind. Wir haben die Liquidität verbessert, obwohl wir eigentlich mit einem Verlust gerechnet hatten. Die Mensa der Gesamtschule war zum Schulbeginn fertig. Seit Mitte Dezember ist auch die neue Drehleiter für die Feuerwehr da, für die wir rund 500.000 Euro investiert haben, um nur zwei Projekte zu nennen.
 
Wie zu hören ist, sollen weitere Investitionen folgen.
 
Tholen: Die Signale aus Düsseldorf sind sehr positiv, dass wir gemeinsam mit Selfkant, Waldfeucht und Heinsberg in das Städtebau-Förderprogramm für kleinere Kommunen aufgenommen werden. Wir in Gangelt möchten mit diesen Fördermitteln die Gesamtschule inklusive der Dreifachturnhalle energetisch sanieren.
 
Im zweiten Step soll das Rathaus ebenfalls saniert werden. Und zu guter Letzt möchten wir die Sittarder Straße bauen, wenn wir es denn schaffen, sie vom Landesstraßenbauamt übertragen zu bekommen, wenn die B56n freigegeben ist. Aber das ist noch ein längerer Weg.
 
In welchem Zeitraum wollen Sie diese Projekte angehen?
 
Tholen: Die Stufe 1 mit der Sanierung von Gesamtschule und Turnhalle wird überwiegend in den Jahren 2018, 2019 und 2020 mit einem Volumen von jeweils drei Millionen Euro umgesetzt. Dazu gehören ein neues Dach, neue Fenster, Dämmung, Lüftungsanlage und die Inneneinrichtung. Das Rathaus und die Sittarder Straße folgen dann in den Folgejahren. Das Land fördert die Maßnahmen in unserer Gemeinde mit jeweils 60 Prozent. Die Förderung richtet sich nach der Finanzkraft der Kommune – und da sind wir eigentlich zu gut aufgestellt.
 
Von den 35 Kommunen im Bereich Aachen-Düren-Heinsberg sind genau zwei schuldenfrei: Niederzier dank jahrelanger Zahlungen von RWE und Gangelt. Woher kommt die Gangelter Finanzstärke?
 
Tholen: Einen Vergleich finde ich immer schwierig. Jede Kommune ist anders aufgestellt, hat andere Probleme und andere Einrichtungen zu betreuen. In Gangelt haben wir uns vor zehn Jahren hingesetzt und alle Kosten durchleuchtet. Und das nicht nur einmal, sondern dreimal, bis wir die Ausgabenseite soweit optimiert hatten, dass ohne Leistungseinbußen nichts mehr ging.
 
An der Qualität wollten wir aber nicht schrauben. Wie jede andere Kommune auch haben wir natürlich auch Gebührenerhöhungen vorgenommen, wobei wir im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden hier relativ gut liegen. Unsere Personalkosten haben sich seit meinem Amtsantritt vor 20 Jahren nicht signifikant erhöht. Und wir hatten das Glück, dass die Gemeinde in diesem Zeitraum um gut 2000 Einwohner gewachsen ist, von damals 10.400 auf jetzt knapp 12.500.
 
Aber warum wir heute so gut dastehen, ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt kein Modell Gangelt, dass Eins zu Eins auf andere Kommunen zu übertragen wäre. Das Wichtigste ist strategisches Handeln. Ziele setzen, aufschreiben, visualisieren, emotionalisieren. So denkt man bei jeder Entscheidung an das, was man erreichen will und erreicht es auch.
 
In Waldfeucht ist der Erhalt des Schwimmbades ungewiss, in Heinsberg gab es emotionale Debatten um die Festhalle, die Freibäder und die Schließung von Grundschulen. Beunruhigt es Sie, dass Kommunen unter größeren Druck geraten?
 
Tholen: Natürlich bekomme ich mit, dass gerade in den Städten Einrichtungen geschlossen werden, von Büchereien bis hin zu Schwimmbädern. Ich glaube, damit geht ein Stück Lebensqualität verloren. Wir haben immer gesagt, dass wir – solange wir uns das leisten können – für den Bürger zusätzliche Leistungen vorhalten möchten. Unser Freibad macht ein Defizit von 250.000 Euro, wir haben zwei Lehrschwimmbecken für 800.000 Euro saniert.
 
Das alles müssten wir nicht tun. Wir haben nie die Wirtschaftlichkeit gesehen, die Einrichtungen sind so ausgelegt, dass jeder Bürger sie für wenig Geld nutzen kann. Für fünf Euro schwimmen zu gehen, wird in einem privat geführten Bad schwierig sein. Hinzu kommt, dass wir in Gangelt jedem Kind die Chance geben, in der Grundschule, aber auch an der Gesamtschule schwimmen zu lernen.
 
In Gangelt wird die Infrastruktur durch ehrenamtliches Engagement eher noch ausgebaut.
 
Tholen: Wir haben immer noch viele Menschen, die sich bereiterklären, ehrenamtlich mitzuarbeiten – nicht nur in den Vereinen, sondern auch in Projekten, die weitestgehend die Gemeinde betreffen. Das schafft Identität. Wir haben 2016 das Feuerwehrgerätehaus in Birgden eingeweiht und die Erweiterung in Schierwaldenrath angefangen. In Hastenrath beginnt sie jetzt, in Kreuzrath haben wir das Dorfgemeinschaftshaus fertiggestellt, in Breberen wird die Halle besser ausgestattet, in Schierwaldenrath erhält das Schützenheim Tische und Stühle.
 
Damit fördern wir die Dorfgemeinschaften. Wenn die Bürger mit angepackt haben, haben sie ein ganz anderes Gefühl und halten die Einrichtungen in Schuss. Wir stellen das Material und die Geräte zur Verfügung, die Dorfgemeinschaft plant, realisiert und betreibt. Das ist ein gutes Miteinander. Wir haben mittlerweile fünf Dorfgemeinschaftshäuser, in denen die unterschiedlichsten Veranstaltungen stattfinden können.
 
Sie haben stets betont, die Freigabe der B56n habe große Auswirkungen auf den Zentralort Gangelt. Wie konkret ist Ihre Vision?
 
Tholen: Als ich vor 20 Jahren nach Gangelt kam, hat mein Vorgänger Heinrich Aretz gesagt: Nächstes Jahr ist es soweit. Von daher bin ich sehr froh, dass die Straße im Frühjahr nun wirklich freigegeben wird. Wir möchten die alte Straße zur Gemeindestraße umwidmen und in einen verkehrsberuhigten Bereich umbauen, in dem die Lebensqualität wieder steigt, wo es wieder Sinn macht, die Fassaden zu sanieren und Geschäfte aufzumachen.
 
Das alles war bei sehr engen Bürgersteigen und 24.000 Fahrzeugen am Tag sehr schwierig. Diese Probleme werden wir nicht mehr haben, wenn die B56n auf ist. Wir werden nach der Inbetriebnahme der B56n Zählungen machen, um zu prüfen, ob die Prognosen von dann nur noch 7000 Fahrzeugen zutreffend sind.
 
Generell möchten wir den Ortskern Gangelt aufwerten und mit Leben füllen. Daneben hoffen wir natürlich, dass die Nachfrage nach Gewerbeflächen und Wohngrundstücken in Gangelt durch die B56n weiter wächst. Gangelt wird durch den Anschluss an das internationale Verkehrsnetz an Attraktivität gewinnen.
 
Kurzfristig stehen für dieses Jahr Investitionen in Wohngebiete und Schulen im Haushalt.
 
Tholen: Es war immer unser Ziel, die Gemeinde als Wohnort und Gewerbestandort attraktiv zu halten – in erster Linie sicher als Wohnort. 2016 ist es uns erstmals gelungen, dass die Geburtenrate höher war als die Zahl der Sterbefälle. Das ist das Ergebnis der Ansiedlung vieler junger Familien in den letzten Jahren. Ich glaube, dass eine stetige Steigerung der Einwohnerzahl für eine Gemeinde sehr wichtig ist.
 
Damit kommen neue Leute in die Orte, die am Vereinsgeschehen und dem Dorfleben teilnehmen wollen. Das sind Leute, die Freude daran haben, hier in einem überschaubaren Kosmos zu wohnen, in dem sie ihre Kinder auch mal zum Nachbarn schicken können, ohne sich gleich Sorgen machen zu müssen. Diese Geborgenheit, Überschaubarkeit und Sicherheit werden gerade in der heutigen Zeit immer wichtiger. Aus diesen Gründen entscheiden sich viele Menschen für das dörfliche Leben.
 
Und steigende Einwohnerzahlen bringen ja auch Einnahmen.
 
Tholen: Das stimmt. Die steigende Einwohnerzahl sorgt mit dafür, dass die Finanzen solide bleiben und wir angefangen von den Schlüsselzuweisungen bis hin zu den Steuermitteln immer gut ausgestattet sind. Im Jahr 2016 sind wieder 145 Bürger in unserer Gemeinde dazugekommen.
 
2016 war weltweit eher ein Jahr der schlechten Nachrichten. Glauben Sie, dass diese Überschaubarkeit den Menschen zumindest vor Ihrer Haustür ein wenig Sicherheit bietet?
 
Tholen: Ich glaube schon. Die Menschen brauchen Halt. Hier auf dem Land war die Religion in der Vergangenheit meist das Verbindende. Bei den jungen Leuten ist zu beobachten, dass sie weniger mit der Kirche zu tun haben und Religion nicht mehr diese Rolle spielt. Diese Gemeinschaft in den Dörfern kann aber schon dazu beitragen, der Hektik, Ungewissheit und Angst unserer heutigen Zeit zu begegnen.
 
Der Erfolg von Parteien wie der AfD hat ja viel mit Ängsten zu tun. Es kann durchaus sein, dass die Geborgenheit, die man hier in den kleinen Dörfern erfährt, einen gewissen Ausgleich bietet. Wir haben heute das Phänomen, dass Leute Unwahrheiten in den Raum stellen, die dann ungeprüft als gegeben angesehen werden, um damit Ängste zu schüren. Das ist keine gute Entwicklung.
 
Letzte Frage, Herr Tholen. Fahren Sie immer noch den VW Golf aus dem Jahr 2003, den Sie bei der Schuldenfreiheitsfeier im Jahr 2013 fuhren?
 
Tholen: Natürlich, was man von anderen verlangt, kommt nur an, wenn man es selber vorlebt.
 
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