Entscheidung zur Amselschule fällt aus

09.10.2019, 10:37 Uhr | AN vom 09. Oktober 2019

GANGELT Eigentlich hätte der Dienstag zum Tag der Entscheidung für die Amselschule werden sollen. Doch wenige Stunden vor der Sitzung des Gemeinderats zog die Gründungsinitiative überraschend ihren Antrag zurück. Ob es in Gangelt eine freie Grundschule geben wird, bleibt damit bis auf Weiteres unklar.
 

Der Grund für den plötzlichen Rückzieher war in der Schulausschusssitzung am Abend zuvor zu finden. Die Köpfe der Gründungsinitiative, Kristina und Marlon Dahlmanns und Katrin und Markus Salden, präsentierten ihre Pläne und stellten sich Rückfragen des Gremiums. Auf Basis dessen sollte der Gemeinderat am Dienstag die Entscheidung treffen, ob unweit der Gesamtschule ein neues Schulgebäude entstehen darf. Doch die Verwaltung hatte auch Schulamtsdirektor Christoph Esser vom Kreis Heinsberg sowie den vom Kreis Heinsberg beauftragten Gutachter Wolf Krämer-Mandeau eingeladen. Ihre Einschätzungen lassen sich so zusammenfassen, dass Gangelt der falsche Ort für die Amselschule sei, und zwar wegen der Konkurrenz für die Regelschulen.
 
Keine reine Grundschule
 
Die behördlichen Sorgen beziehen sich offenbar besonders auf die Gesamtschule Gangelt-Selfkant. Denn die Amselschule will langfristig keine reine Grundschule bleiben, sondern vier Jahre nach den ersten Einschulungen auch eine Sekundarstufe I bilden. Damit, so die Warnung, geriete auch die Gesamtschule in Gefahr, die vierzügig sein muss. „Die Erfolge, die sie aufgebaut haben, werden so nicht mehr zu halten sein“, sagte Krämer-Mandeau.
 
Dieser Vortrag war es, der dazu führte, dass die Amselschule am folgenden Tag ihren Antrag zurückzog. Denn die Zahlen, die die angebliche Gefährdung der Gesamtschule belegen sollten, waren bei der Präsentation kaum zu erkennen. Vor allem aber wurden sie der Politik nicht schriftlich zur Verfügung gestellt. Man wolle „allen Beteiligten die Möglichkeit geben, die genannten Zahlen selbst zu überprüfen“, schrieben die Schulgründer also am Dienstag der Gemeindeverwaltung. Davon, dass der Unterricht kommendes Jahr im neuen Schulgebäude hätte starten können, war man offenbar sowieso nicht mehr ausgegangen.
 
Ein Nein lag in der Luft
 
Der Rückzieher könnte eine weise Entscheidung gewesen sein. Denn die angebliche Gefährdung der Gesamtschule hatte dem Ausschuss und auch Bürgermeister Bernhard Tholen (CDU) erkennbar Unbehagen bereitet. Es lag in der Luft, dass der Gemeinderat den Amsel-Gründern eine Absage erteilen würde. Dem wären sie nun zuvor gekommen.
 
Wie konkret aber wäre die Gefahr für die Gesamtschule? Dem Schulausschuss wohnte auch Gesamtschulleiter Reinhold Schlimm bei, der feststellte, dass man pro Jahr „110 Schüler plus x“ benötige, um Planungssicherheit zu genießen, was eher nach einer allgemeinverbindlichen Festellung als nach einer eindringlichen Warnung klang.
 
Die Amselschule lehnt sich stark an die Montessori-Pädagogik an und versteht sich als Gegenentwurf zu der traditionellen Schulidee, sie verzichtet auf Klassen ebenso wie auf Hausaufgaben. Stattdessen lernen die Kinder altersübergreifend, wann sie wollen und was sie wollen. All das soll umgesetzt werden in einem rund zwei Millionen Euro teuren Gebäude, das auf einem zurzeit noch landwirtschaftlich genutzten Grundstück östlich der Gesamtschule und südlich des Sportplatzes entstehen sollte.
 
Rein formell betrachtet hat die Gangelter Kommunalpolitik gar nicht die Möglichkeit dazu, über die Amselschule zu entscheiden. Das Recht, freie Schulen zu gründen, ist im Grundgesetz ebenso verbrieft wie in der Landesverfassung. Das gilt allerdings nicht für die Änderung von Flächennutzungsplänen und die Aufstellung von Bebauungsplänen. Weil beides für den Bau des Schulgebäudes notwendig ist, muss das Thema also doch über die kommunalpolitische Hürde: De jure geht es um Baurecht, de facto um die Frage, ob man in Gangelt eine freie Grundschule will oder nicht.
 
Überraschend kam sicher auch für die Gründungsinitiative, dass Zweifel am pädagogischen Konzept im Schulausschuss praktisch gar nicht laut wurden. Schulamtsdirektor Esser stellte sogar fest, dass „die pädagogischen Gemeinsamkeiten mit den Regelschulen deutlich überwiegen“ und die Amselschule in vielen Punkten für „genau die Dinge steht, die auch unsere Lehrpläne prägen“. Pädagogisch bestehe daher „keine Notwendigkeit“ für eine freie Schule.
 
Die Gründungsinitiative dürfte ihre Schwierigkeiten damit haben, diese Behauptung ernst zu nehmen. Täte sie es doch, müsste man ihre Mitglieder fragen, wofür sie eigentlich seit mehr als einem Jahr einen großen Teil ihrer Freizeit opfern.